„Geschäftsreisen werden nicht durch virtuelle Treffen ersetzt“
Martin Winkler, Vorstandsvorsitzender der Verkehrsbüro Group, hat im Laufe der Verhandlungen mit den politischen Verantwortlichen festgestellt, dass „die Bedeutung der Touristik angekommen ist“. Im Interview mit tip-online betont er die Dringlichkeit der Rettungsmaßnahmen für die Branche.
tip-online: Meetings finden derzeit ausschließlich virtuell statt. Wird das Geschäftsreisen künftig obsolet machen?
Martin Winkler: Die Bedeutung von physischen Meetings wird nicht abnehmen. Auf Kurzstrecken und in Kombination mit dem Bestreben nach mehr Nachhaltigkeit wird es einen Impact geben. Geschäftsreisen werden aber nicht generell durch virtuelle Treffen ersetzt werden. Bei Fabriken ist physische Anwesenheit erforderlich, ebenso bei Kundenbeziehungen – da braucht es Emotionen.
tip-online: Wie beurteilen Sie das aktuelle Vorgehen der Politik in Bezug auf die Touristik?
Martin Winkler: Die Bedeutung des Tourismus als Ganzes ist im Bewusstsein der Politiker schon angekommen - auch die Zeitkomponente. Als Verkehrsbüro Group sind wir finanziell gut aufgestellt. In der breiten Fläche der Touristik braucht es aber eine schnelle Lösung, da braucht jeder Geld. Das liegt auch an der Kaskade in der Touristik - vom Reisebüro über den Veranstalter zum Hotel und allen anderen, die daran hängen. Liquidität ist jetzt unmittelbar erforderlich. Viele können die Voraussetzungen – das Vorliegen einer Bilanz für 2019 und eine entsprechende Eigenkapitalquote – nicht erfüllen. Der Fixkostenzuschuss ist sehr wichtig. Wenn die Auszahlung aber erst Mitte 2021 erfolgt, wird es 85% der Betriebe, die darum angesucht haben, wohl gar nicht mehr geben.
"Ich tu mein Bestes"
tip-online: Sind Sie als Vorstandsvorsitzender des größten österreichischen Tourismusunternehmens in Verhandlungen eingebunden?
Martin Winkler: Als Verkehrsbüro haben wir eine gewisse Power, für die Reisebranche Stellung zu beziehen. Ich hoffe, dass wir eine Sensibilisierung für den österreichischen Vertrieb in der Politik erreichen und gemeinsam für alle österreichischen Player kämpfen. Das muss uns in den nächsten Tagen gelingen. Ich tu mein Bestes. Ein Produkt aus einem österreichischen Reisebüro ist eine gewisse Absicherung für den Kunden – das haben viele in den letzten Wochen selbst erlebt. In den letzten Tagen ist Bewegung in die Verhandlungen gekommen. Die Politik versucht an einer Lösung zu arbeiten, weil sie weiß, dass sonst unsere Branche wegbricht. Die Nachfrage nach Reisen ist zu groß, als dass es die Touristik nicht mehr geben würde.
tip-online: Was ist Ihr Best Case-Szenario - und was das ist der Worst Case?
Martin Winkler (lacht): Best Case wäre in zwei Wochen einen Impfstoff gegen den Covid19-Virus zu haben, der im Reisebüro und Hotel gleich beim Buchen mitgegeben werden kann. Im Ernst: Wir dürfen auf keinen Fall eine zweite Welle riskieren. Die Schwierigkeit in der Touristik ist, dass wir von den Erleichterungen noch nicht viel merken. Ohne Flugverkehr gibt es nur Österreich für Österreicher. Ich bin eher vorsichtig und glaube nicht, dass im Sommer Auslandsreisen in größerem Stil schon wieder möglich sein werden. Ich kann das aber nicht einschätzen.
Gewaltiger Schub durch Nachholeffekt
tip-online: Wie gehen Sie in der Hotellerie vor? Was wird aus der angekündigten Expansion?
Martin Winkler: Für die Hotels haben wir Stufenszenarien entwickelt. Wir werden anfangs nicht alle Hotels hochfahren. Es wird auch davon abhängen, welche Auslandsmärkte als erste aktiv werden. Generell brauchen wir einheitliche Regelungen für alle Betriebe, die einmal kommuniziert werden und bei denen es dann auch bleibt. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen müssen halten. In der Expansion sind wir schon sehr weit fortgeschritten, haben sie aber vorerst auf Eis gelegt. Jetzt geht es darum, dass wir die bestehende Liquidität absichern und uns gesund aufstellen für den Rest des Jahres. Ich habe die Hoffnung, dass 2021 wieder eine gewisse Reisenormalität eintritt. Das Niveau von 2019 werden wir aber wahrscheinlich erst wieder 2022 oder 2023 erreichen.
tip-online: Wie werden sich die Geschäftsreisen entwickeln?
Martin Winkler: Wahrscheinlich wird Deutschland als erstes wieder geöffnet werden. Geschäftsreisen werden sicher erst später wieder einsetzen als Leisure-Reisen.
tip-online: Wie wird sich das Reisen nach der Krise ändern?
Martin Winkler: Die AUA wird auf der Langstrecke eine gewisse Erreichbarkeit bieten müssen. Das ist besonders für das Incoming und Kongresse wichtig. Spannend wird die Preisgestaltung. Auch die Frage der Sicherheitsvorkehrungen gegen Infektionen wird eine Herausforderung. Die Reiselust wird ungebrochen sein. Reisen lebt von Emotionen. Die aktuelle Situation ist der Kontrapunkt dazu. Beim Nachholeffekt wird es einen gewaltigen Schub geben – aber das wird eben noch ein wenig dauern.
Solidarität mit österreichischen Unternehmen
tip-online: Im Vertrieb werden derzeit Forderungen laut, dass die Vergütungsmodelle der Veranstalter neu aufgesetzt werden müssen. Wie sehen Sie das?
Martin Winkler: Da muss man sehen, wie sich die Veranstalter-Landschaft entwickelt. Keiner wird viel Geld zu verteilen haben und der Kunde wird nicht mehr zahlen. Auf Fairness-Basis wird das nicht zu lösen sein. Das ist eine Frage der Abhängigkeit - wer braucht wen. Die Reisebüros haben in den letzten Wochen einen tollen Job gemacht. Das hat die Bedeutung des Reisebüros für die Kunden wieder in den Fokus gestellt. Die Menschen wollen reisen und sind sensibilisiert für den Wert des Reisens. Beratung ist ihnen wichtig, aber das kann auch auf anderen Wegen als bisher sein. Die Digitalisierung hat in der Krise einen Schub erfahren. Derzeit gibt es viel Solidarität mit österreichischen Unternehmen. Ich bin gespannt, ob das anhält.
tip-online: Werden Sie in der Verkehrsbüro Gruppe das Österreich-Produkt ausbauen?
Martin Winkler: Wir werden das Produkt von Eurotours verstärkt auch bei Ruefa Reisen platzieren und Möglichkeiten alternativer Verkehrsmittel wie die Bahn ausloten. Bei Ruefa werden wir Österreich anders inszenieren und kreativ sein, wo sich Chancen ergeben. Wien kann man derzeit zum Beispiel erleben, wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Beim Österreich-Urlaub wird es im Sommer spannend, welche Verfügbarkeiten es geben wird. (red)